Das Internet ist ungeil und bleibt’s wohl auch. Heutzutage ist das Internet gefiltert, durch Algorithmen von Google und Meta. Informationen verstecken sich hinter Paywalls, Bezahlschranken, und sind dann oftmals mit Werbung überklebt. Unternehmen sammeln Daten, Daten und Daten ihrer Nutzer:innen, um sie weiterzuverkaufen oder um selbst detaillierte Werbeprofile zu erstellen. So weit, so ungeil.

Aber dieses web3, das erstmal als Sammelbegriff für all das herhält, was die künftige Generation des Webs ausmacht, das web3, das all die heutigen Problematiken überwinden mag, wird von zahllosen Kryptokommentarwichsmaschinen und Blockchainbros bis to the moon vollgekackt.
Ursprünglich, das meint Anfang bis Mitte der 2000er, verstand sich der Begriff Web 3.0 als eine Erweiterung des herkömmlichen Webs. Tim Berners-Lee, der Begründer des World Wide Web, sah in seinem Vorschlag vor, dass Informationen mit einer klar definierten Bedeutung versehen werden, sodass sich Computer und Menschen besser verstehen. So könnte etwa das Wort „Bruch“ in einem Webdokument um die Information ergänzt werden, dass es sich hierbei um einen mathematischen oder medizinischen Begriff handelt. Oder gar um einen Nachnamen. Apropos Name: Der eigentliche Name semantic bzw. Semantisches Web führte zu vielen Missverständnissen und wurde deshalb 2013 zu Data of Web geändert. 1
Das Problem mit einem Begriff wie web3 ist, dass man nicht wirklich weiß, was es ist, bis es passiert. Man weiß nicht, was die grundlegende Veränderung sein wird, die das Web so sehr verändern wird, dass es den Namen web3 verdient. Niemand weiß das – es sei denn, du bist Risikokapitalgeber:in oder gehörst zu einem nicen Start-up-Unternehmen. Dann nämlich, weißt du Bescheid, was laufen wird. Das weißt du schon deshalb, um eine Finanzierung zu erhalten, selbst wenn du null Ahnung hast.
Aber klar, auch haben Kryptowährungen und Blockchains ihr vermeintlich Gutes: Demokratisierung, Dezentralisierung, Widerstand gegen Zensur! Die Absichten und Ziele klingen allesamt überzeugend und entsprechen so ziemlich dem, was auch ich selbst für die Zukunft des Internets wichtig finde. Bloß habe ich keinen Schimmer, wie Blockchains und Kryptowährungen uns dorthin bringen.
Zum Glück aber, haben andere diesen Schimmer: Web3-Verlage etwa, die das DRM neu erfinden möchten, indem sie den Zugang zu Publikationen noch weiter einschränken, um dann mehr Geld fordern zu können; oder Plattformen, auf denen NFTs erworben werden können, versprechen Künstler:innen beim Verkauf ihrer Werke zu helfen, obwohl sie zugleich finanziell vom Verkauf gestohlener Kunst profitieren; oder Stablecoin-Projekte, die vorgaben, die Volatilität zu überwinden, schlussendlich aber wieder nur Scam waren. 2 Alles existierende Projekte.
Die Unternehmen logen darüber, wie weit verbreitet ihre Produkte überhaupt waren. Systeme, die als weltverändernd angepriesen wurden und bereits im Einsatz waren, entpuppten sich als frühe Beta-Testphasen oder als reine Vaporware. Diese wahnwitzigen Machertypen sprechen aber eigentlich bloß darüber, was eines Tages möglich sein könnte, oder über das Potenzial dieser Technologie, wenn erst einmal alle großen Probleme gelöst wären. Token kaufen und in ins Startup investieren, bitte dann aber schon heute, ja? Der Rest kommt später – einfach mal in die Technologie vertrauen, kein Trottel sein, reich werden!
Powerpoint und Mindweb Computing #
Die Sache mit dem Potenzial ist, dass man es über alles sagen kann, solange man es nicht wirklich untermauern muss: Äh, Mindweb Computing ballert das Web ins web3! Ich bastle mir ein paar hübsche Powerpoint-Folien zusammen, erzähle vom Quantum Streaming und male mit ein wenig Charisma und Neurosynthing ein Bild eines utopischen Webs, von dem einst geträumt wurde und das nun in greifbare Nähe rückt: „Ja du, ich bin super viel im Bereich Mindweb Computing unterwegs. Kennst du gar nicht? Kennst du Blockchains, Krypto oder so? Hast du bestimmt schon mal gehört … Also Mindweb Computing is’ sowas in die Richtung, aber halt noch heftiger, irgendwann.“
Ich glaube, dass die Technologiebranche voll von Leuten ist, die mit ihren schicken Folien herumlaufen und über revolutionäre Ideen schwadronieren. Sollen sie, ist im Großen und Ganzen auch relativ harmlos, sofern diese Ideen, auf Kosten einiger Startup-Gründer:innen und reicher Frühphasen-Investor:innen verbrannt werden.
Aber wenn eine ganze Branche entsteht, die der Öffentlichkeit die Idee verkauft, dass ein besseres Internet nur durch eine Technologie möglich ist, die der Aufgabe kaum gewachsen ist; wenn sie die Hoffnungen der Menschen auf ein besseres Internet und ihre Ängste über die Auswirkungen des heutigen Internets auf sie selbst, ihre Kinder und die Gesellschaft ausnutzt, um sie zu überzeugen, sich an Projekten zu beteiligen, die es vielleicht nie geben wird; wenn sie Menschen davon überzeugt, dass ihr einziger Weg zu finanzieller Stabilität darin besteht, ihre Ersparnisse in Technologien zu investieren, die sie nicht verstehen, weil das die Zukunft ist, dann lohnt es sich doch mal, bei Powerpoint-Präsentationen aufmerksam zu sein.
So viele Probleme im heutigen Internet werden von kapitalistischen Kräften angetrieben, die rücksichtslos auf die Bereicherung monopolistischer Tech-Unternehmen abzielen. Ich bezweifle stark, dass die Utopie eines web3 durch die Einführung einer hyperkapitalistischen Technologie verwirklicht wird, die darauf abzielt, alles im Web noch weiter zu finanzieren, und Daten der Nutzer:innen in öffentliche Ledger legt, wo sie von noch mehr Tech-Unternehmen abgegriffen werden können.
Na klar, wird es ein web3 geben. Das Web hat sich seit seinen Anfängen ständig weiterentwickelt. Ich glaube auch, dass ein grundlegender Wandel überfällig ist. Werden es Blockchains und Kryptowährungen sein? Bitte nich’! Risikokapitalgeber:innen und Blockchain-Start-up-Gründer:innen hoffen es. Ich hingegen wünsche, dass der Rest weiterhin auf utopische Ziele hinarbeiten wird: Die Ziele, die viele Menschen teilen, die im web3 und an web3-Projekten arbeiten, ohne zwangsläufig an eine Technologie gebunden zu sein.
Wir sollten nach mehr im Web streben. Darauf drängen, es zu dem weiterzuentwickeln, was auch immer web3 sein mag, und jenen Idealen nachjagen, die das Web wirklich wunderbar machen könnten. Und dass wenn wir mit hochtrabenden Verheißungen konfrontiert werden, um Spinnereien wie Mindweb Computing von den wirklich revolutionären Ideen unterscheiden zu können.
Quellenverzeichnis
Stradbrooke, Steven (2022): Even Binance thinks the Tether stablecoin is an unbacked scam. In: coingeek.com.
URL.: https://coingeek.com/even-binance-thinks-the-tether-stablecoin-is-an-unbacked-scam/
[Abgerufen: 20.02.2023].
Wikipedia (o. J.): Semantic Web. In: wikipedia.org.
URL.: https://de.wikipedia.org/wiki/Semantic_Web#Begriff
[Abgerufen: 20.02.2023].
Vgl. Wikipedia, „Semantic Web“, https://de.wikipedia.org/wiki/Semantic_Web#Begriff ↩︎
Steven Stradbrooke, „Even Binance thinks the Tether stablecoin is an unbacked scam“, https://coingeek.com/even-binance-thinks-the-tether-stablecoin-is-an-unbacked-scam/ ↩︎